Das Bundesverfassungsgericht hat erhebliche Zweifel daran, dass für Geräte und Speichermedien, die an Unternehmen, Bildungseinrichtungen und Behörden geliefert werden, eine Urheberrechtsabgabe zu bezahlen ist. "Angesichts der divergierenden Rechtsprechung des Österreichischen Obersten Gerichtshofs [Urt. v. 21. Februar 2017, Az. 4 Ob 62/16w – Austro Mechana ./. Amazon] … hinsichtlich einer grundsätzlichen Erstreckung der Vergütungspflicht auf gewerbliche Geräteabnehmer" kann nicht von einer unionsrechtlichen geklärten Rechtslage ausgegangen werden kann, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt. Vielmehr bestehe in dieser Frage ein "Widerspruch" zwischen Entscheidungen des deutschen Bundesgerichtshofs und des Österreichischen Obersten Gerichtshofs, BVerfG,Beschluss vom 24. Mai 2022, Az. 1 BvR 2342/17, Rz. 15 f.:
1.
Das BVerfG in seinem Beschluss lässt erhebliche Zweifel daran erkennen, dass "angesichts der divergierenden Rechtsprechung des Österreichischen Obersten Gerichtshofs … hinsichtlich einer grundsätzlichen Erstreckung der Vergütungspflicht auf gewerbliche Geräteabnehmer" von einer unionsrechtlichen geklärten Rechtslage ausgegangen werden kann, die keinen vernünftigen Zweifel offen lässt (BVerfG, a.a.O., Rz. 15 f., kein sog. acte clair oder acte éclairé).
So stelle der BGH im Urteil vom 16. März 2017 "die Vermutung einer vergütungspflichtigen Nutzung ausdrücklich für jede 'Überlassung von zur Anfertigung von Privatkopien geeigneten und bestimmten Geräten an andere als natürliche Personen' auf", während der öst. OGH in seinem Urteil vom 21. Februar 2017 ausdrücklich zwischen einer Abgabe an gewerbliche Zwischenhändler und einer Abgabe an juristische Personen als Endkunden differenziere und eine Vergütungspflicht nicht in Betracht komme, wenn der Hersteller oder Importeur an juristische Personen liefere (vgl. Öst. OGH, Urt. v. 21. Februar 2017, Az. 4 Ob 62/16w – Austro Mechana ./. Amazon u.a., MMR 2017, S. 388, Rz. 50 f., 53, m. Anm. Verweyen). Gleiches gelte, wenn eine Lieferung an natürliche Personen erfolge, die erkennbar als Endnutzer für kommerzielle Zwecke bestellten (vgl. öst. OGH, a.a.O., Rn. 52 f.).
Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts besteht daher ein Widerspruch zwischen den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und des Österreichischen Obersten Gerichtshofs, der eine Frage der Auslegung des Unionsrechts betreffe (BVerfG, a.a.O. Rz. 16, unter Hinweis auf Degenhart, GRUR 2018, S. 342, 348; Verweyen, MMR 2017, S. 388, 393).
2.
Das Bundesverfassungsgericht betont zudem, dass dann, wenn dem in letzter Instanz entscheidenden einzelstaatlichen Gericht das Vorliegen voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen desselben Mitgliedstaats oder verschiedener Mitgliedstaaten zur Auslegung einer auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Vorschrift des Unionsrechts (hier: Art. 5 Abs. 2 lit. b) InfoSoc-RiL 2001/29/EG) zur Kenntnis gebracht wird, es bei seiner Beurteilung der Frage, ob es an einem vernünftigen Zweifel in Bezug auf die richtige Auslegung der fraglichen Unionsrechtsvorschrift fehlt, besonders sorgfältig sein muss und dabei insbesondere das mit dem Vorabentscheidungsverfahren angestrebte Ziel berücksichtigen, die einheitliche Auslegung des Unionsrechts zu gewährleisten (BVerfG, a.a.O., Rz. 17).
3.
Dass das BVerfG die Verfassungsbeschwerde des BITKOM e.V. dennoch nicht zur Entscheidung angenommen hat, liegt nach den Entscheidungsgründen allein daran, dass das in der Frage der grundsätzlichen Erstreckung der Vergütungspflicht auf gewerbliche Geräteabnehmer von der Entscheidung des BGH abweichende Urteil des öst. OGH vom 21. Februar 2017, Az. 4 Ob 62/16w – Austro Mechana ./. Amazon, dem BGH bei seiner Entscheidung vom 16. März 2017 noch nicht bekannt war. Denn nach den Feststellungen des BVerfG hat der BITKOM nicht vorgetragen, wann die "nur kurze Zeit vor der Verkündung des angegriffenen Revisionsurteils [des BGH] ergangene Entscheidung des Österreichischen Obersten Gerichtshofs veröffentlicht wurde, so dass anzunehmen wäre, dass der Bundesgerichtshof diese zum maßgeblichen Zeitpunkt der Urteilsverkündung gekannt hätte oder sie jedenfalls hätte kennen müssen" (BVerfG, a.a.O., Rz. 18).
Dr. jur. Urs Verweyen, LL.M. (NYU) | Rechtsanwalt, PartnerOb für Geräte und Speichermedien, die an Unternehmen, Bildungseinrichtungen und Behörden geliefert werden, eine Urheberrechtsabgabe zu bezahlen ist, ist nicht erst seit dem "Padawan"-Urteil des Europäischen Gerichtshof heftig umstritten! Das Bundesverfassungsgericht hat nun festgestellt: die Frage ist noch immer nicht geklärt, ein 'acte clair' oder 'acte éclairé' liegt gerade nicht vor. Unseres Erachtens müssen der Bundesgerichtshof und und das OLG München diese Frage daher bei nächster Gelegenheit dem Europäischen Gerichtshof zur Klärung vorlegen! Da demnach in der Frage der Vergütungspflicht nach §§ 54 ff. UrhG für Geräte und Speichermedien, die an gewerbliche Endkunden geliefert werden, kein acte clair oder acte éclairé vorliegt, sind der BGH und andere Gerichte wie das OLG München unseres Erachtens künftig verpflichtet, diese Frage an den EuGH zur Klärung vorzulegen (Vorlagepflicht, Art. 267 Abs. 3 AEUV). Denn anders als der Bundesgerichtshof im Urteil vom 16. März 2017 kennen die Gerichte jetzt die abweichende Entscheidung des österreichischen OGH vom 21. Februar 2017 und wissen daher, dass diese Rechtsfrage nicht mit der nötigen Zweifelsfreiheit geklärt ist! Ein Unterlassen der Vorlage an den EuGH würde daher die Gewährleistung des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzen, was nach Erschöpfung des Rechtswegs mit einer eigenen Verfassungsbeschwerde angreifbar wäre.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts finden Sie hier, die zusammenfassende Pressemeldung hier.